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Der Netzausbau in Deutschland – ein wichtiges Puzzlestück der Energiewende (Teil 2)

Stromaustausch über Grenzen hinweg: NordLink

Neben dem Netzausbau in Deutschland ist ein vernetzter Strommarkt über ganz Europa hinweg nötig. Besonders durch die schwankende Einspeisung von Wind- und Solarenergie über den ganzen Kontinent. Im ersten Halbjahr 2023 importierte Deutschland 30,6 Mrd. kWh Strom aus europäischen Nachbarländern. Gleichzeitig wurden 32,6 Mrd. kWh exportiert. Der Exportüberschuss sank im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 16,5 Mrd. auf 2 Mrd. kWh, jedoch fällt in diesen Vergleichszeitraum auch die Abschaltung der verbleibenden drei deutschen Kernkraftwerke (1). Zudem ist hier zu berück-sichtigen, dass weniger Exporte und mehr Importe von Strom nicht direkt bedeuten, dass ein Land nicht fähig wäre, sich selbst zu versorgen. Denn wie üblich in der Wirtschaft, sind auch hier die geringsten Kosten ein entscheidender Faktor. Produziert ein Nachbarland mehr Strom, als benötigt wird, kann es kosteneffizienter sein, diesen Strom günstig einzukaufen, als mit einem deutschen Kraftwerk selbst Strom zu produzieren. Dieser importierte Strom kann in vielen Fällen Strom aus regenerativen Energien (RE) sein, wie folgende Daten für Juni 2023 zeigen. Der in diesem Monat importierte Strom stammte zu 48 % aus RE, darauf folgen mit 25 % Strom aus Kernkraft, 11 % Strom aus Erdgas, 5 % Strom aus Kohle, sowie 5 % aus ausländischen Pumpspeicherkraftwerken (2).

Besonders diese 5 % aus Pumpspeicherkraftwerken sind für die Energiewende relevant. Diese können Strom in Form von potenzieller Energie einspeichern und bei Bedarf wieder ins Netz einspeisen. Dafür wird Wasser durch elektrische Pumpen in ein höher gelegenes Speicherbecken behoben, um es später für die Rückverstromung in einer Turbine zu nutzen. Grünen Strom zu speichern, ist langfristig einer der wichtigsten Aspekte für eine nachhaltige Stromerzeugung. Während sich hierbei noch viele Technologien in der Entwicklungsphase befinden, sind Pumpspeicherkraftwerke aktuell schon vielerorts gebaut und verfügen über eine hohe Effizienz und Speicherkapazität. Zudem können die Anlagen innerhalb weniger Minuten hoch-fahren, somit kann schnell auf die aktuelle Netzsituation reagiert werden. Der Wirkungsgrad kann hier bei modernen Anlagen über 80 % betragen (3), Leistungen von über einem Gigawatt und Speicherkapazitäten von mehreren Gigawattstunden sind möglich (4). Deutschland verfügt über einige Pumpspeicherkraftwerke, so z.B. das Pumpspeicherkraftwerk in Geesthacht mit 120 MW installierter Leistung (Abb. 1), jedoch ist das Potenzial aufgrund der geographischen und hydrologischen Voraussetzungen so gut wie ausgeschöpft.

Abbildung 1: Das Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht in der Nähe von Hamburg (5)

Größere Speicherkapazitäten sowie das Potenzial für diese sind vor allem in Alpenanrainerstaaten wie Österreich und der Schweiz zu finden. Diese Speicherkapazitäten in Europa für grünen Strom aus Deutschland zu nutzen wäre äußerst sinnvoll: Bei Überkapazitäten kann so der billige Strom exportiert und mithilfe von Pumpspeicherkraft-werken in Lageenergie umgewandelt werden. Steigen die Strompreise in Zeiten von wenig Wind- und Solarstrom, können die Pumpspeicherkraftwerke aus der potenziellen Energie des Speicherwassers Strom erzeugen und ins Netz einspeisen, sodass dieser wieder in Deutschland genutzt werden kann. Für die Betreiber dieser Kraftwerke ist dieses Modell lukrativ, da sie günstigen Strom einkaufen und teuren Strom wieder verkaufen können.

Die verbesserte Vernetzung innerhalb Europas ist auf vielen Ebenen von Vorteil. Dies wird deutlich an einem neuen, europäischen Großprojekt der Netzentwicklung: NordLink. Die Kabeltrasse ging im Mai 2021 offiziell in Betrieb (6) und verbindet über eine Strecke von 623 km das norwegische Tonstad und das deutsche Wilster (Schleswig-Holstein). Mit einer Leistung von 1,4 GW kann Strom von Deutschland nach Norwegen und umgekehrt fließen (7). Der Nutzen der NordLink-Trasse ist jedoch viel weitreichender. Wasserkraft kann bei vorhandenem Speicherbecken sehr gut gesteuert werden. So kann Norwegen bei einem Überschuss an günstigem deutschen Windstrom diesen nutzen und seine Reservoirs schonen, und umgekehrt Strom aus Wasserkraft exportieren, wenn Deutschland wenig günstigen Strom aus EE zur Verfügung hat. Die nutzbare Speicherkapazität der norwegischen Speicherseen liegt bei 84 TWh, dies entspricht fast der Hälfte des gesamten Wasserspeicherkapazität Europas. Zusätzlich profitiert die norwegische Stromversorgung, da in Jahren von wenig Schnee- und Regenfall und einem geringen Füllstand in den Speicherseen Strom aus Deutschland importiert werden kann (8).

NordLink ist ein wichtiger Teil eines internationalen Stromnetzes und ein relevanter Faktor für den Netzausbau und die Energiewende. Jedoch muss hier beachtet werden, dass Norwegens Speicherkapazität sehr vom Füllstand der Speicherseen abhängt, und die Kapazität von Pumpspeicherkraftwerken dort eher gering ist. Zwar gibt es in Norwegen Pumpspeicherkraft-werke, deren Leistung beläuft sich jedoch auf weniger als 2 GW (8, 9). Im Vergleich dazu verfügt Deutschland allein über eine Pumpspeicherleistung von ca. 7 GW. Dies liegt daran, dass Norwegen viel Strom aus Wasserkraft produziert und Wasser in Stauseen als Energiespeicher nutzt. Mehr Pumpspeicherkraftwerke sind in Bezug auf das europäische Verbundnetz sinnvoll. NordLink ist folglich ein relevanter, aber nur kleiner Baustein auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energiewirtschaft.

Netzausbau auf lokaler Ebene: Der Ausbau der Verteilnetze

Neben dem Ausbau der Übertragungsnetze, bei denen deutschlandweit oder sogar über dessen Grenzen hinaus das Netz verstärkt wird, ist auch der Netzausbau auf lokaler Ebene relevant. Die zunehmende Elektrifizierung des Individualverkehrs und der häuslichen Wärmeerzeugung wird auch einen erheblichen Einfluss auf die Lastflüsse in den regionalen Verteilnetzen haben. Wärmepumpen und die Ladeinfrastruktur für Elektroautos werden die Lastspitzen im Verbrauch erhöhen, wird es auch Zeiten geben, in denen in Zukunft der lokale Verbrauch ungewöhnlich gering oder sogar negativ sein wird. Dieser Fall kann eintreten, wenn durch individuelle PV-Anlagen ein Überschuss an Strom produziert und ins Netz eingespeist wird. Vor der Etablierung privater PV-Anlagen wäre dieser Fall noch praktisch unmöglich gewesen.
Die Belastung regionaler Netze steigt also. Bis 2030 sollen 15 Millionen Elektrofahrzeuge und sechs Millionen Wärmepumpen ihren Beitrag leisten, die deutschen Kohlenstoffemissionsziele zu erreichen (10). Laut der Bundesnetzagentur (BNetzA) würde die weitere Verbreitung dieser Technologien ohne Maßnahmen am Netz langfristig zu Überlastungsproblemen und Stromausfällen führen. Für den Notfall soll deshalb eine temporäre Stromrationierung für Wärmepumpen und das Laden von Elektroautos möglich werden. Man könnte so weiterhin Strom durch das Heizen und das Laden des Fahrzeugs verbrauchen, jedoch mit einer reduzierten Leistung. Die Pläne zur Stromrationierung sollen laut einem Bericht der BNetzA mit Beginn des Jahres 2024 in Kraft treten (11).

Bei einem zu schwachen Netz ist die Einspeisung bereits jetzt teilweise nicht mehr zulässig. Für neue, große PV-Anlagen wird dies aktuell zum Problem. Dies wird klar, wenn man einen Blick nach Bayern wirft, dem Bundesland, in dem mit mehr als 19 GW deutschlandweit die meiste PV-Anlagenleistung installiert ist. Dort ist das Stromnetz vielerorts ausgelastet, sodass zwar Dachanlagen auf Privathäusern noch angeschlossen werden dürfen, aber größeren Anlagen der Netzanschluss verwehrt wird (12).

In Bayern wird zu Spitzenlastzeiten etwa 13 GW Strom benötigt. Da die Spitzenlastzeiten meist zu einer anderen Zeit auftreten als die Peak-Produktion von PV-Anlagen kommt es an sonnenreichen Tagen zu einer temporären Überproduktion von Strom. Besonders an Ferienwochenenden sinkt der Strombedarf auf nur etwa fünf bis sechs GW, was zu einem noch größeren Überangebot an Solarstrom führt.
Dieses Überangebot führt zu einem Problem: Wenn die erzeugte Strommenge die Nachfrage übersteigt, sinken die Strompreise auf dem Markt. In einigen Fällen können die Preise sogar negativ werden, was bedeutet, dass Energieerzeuger Geld bezahlen müssen, um ihren Strom ins Netz einzuspeisen.

Der Ausbau des Stromnetzes ist daher entscheidend, um diesen Überschuss an Solarstrom effektiv zu nutzen. Mit einem verbesserten Netz können überschüssige Energiemengen in andere Länder oder Bundesländer transportiert werden, die möglicherweise einen höheren Bedarf haben. Ebenso wäre eine Speicherinfrastruktur von Vorteil. Durch effiziente Energiespeicherung könnte der überschüssige Strom für den späteren Gebrauch gesichert werden.
Es ist wichtig zu betonen, dass der Ausbau der PV in Bayern noch nicht abgeschlossen ist. Die ambitionierten Pläne sehen vor, bis zum Jahr 2040 über 80 GW an PV-Kapazität in Bayern zu installieren. Dies bedeutet, dass das Überangebot an Solarstrom in Zukunft noch weiter zunehmen könnte. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, nicht nur in den Ausbau von EE zu investieren, sondern auch gleichzeitig das Stromnetz zu modernisieren und effiziente Speicherlösungen zu entwickeln, um diese Herausforderung zu bewältigen und die Energie optimal zu nutzen (13).

Fazit

Es wird deutlich, wie essenziell der Netzausbau für Deutschlands Zukunft und Energiesicherheit ist. Ohne ein starkes Stromnetz kann regenerativ erzeugter Strom nicht dorthin transportiert werden, wo er gebraucht wird, und somit kann auch strombasierte nachhaltige Technologie nicht richtig eingesetzt werden. In Zukunft wird das Thema Energiespeicher die Thematik neu beeinflussen. Viele Speichertechnologien sind noch in der Entwicklung, jedoch kann gehofft werden, dass durch sie die Netzbelastung reduziert werden kann und die Leistungsflüsse im Netz besser gesteuert werden können. Vielerorts wird bereits am Netzausbau gearbeitet, jedoch fehlt oft das nötige Tempo und bürokratische Hürden erschweren die Umsetzung.

Letztendlich wird der Netzausbau hohe Kosten mit sich bringen. Laut den Übertragungsnetzbetreibern seien über 14.000 km an neuen Stromtrassen nötig, die geschätzten Kosten allein für diesen Teilbereich liegen bei 128 Mrd. € (14). Doch ohne einen ambitionierten Netzausbau wird es noch teurer, eine gute Netzinfrastruktur sorgt dafür, dass günstiger Strom aus RE besser genutzt werden kann. Zudem reduzieren sich bei einem guten Netzausbau die Kosten für Steuerungsmaßnahmen im Strommarkt und die Abschaltung von EE-Anlagen, hauptsächlich WEA, für die Verbraucher. Maßnahmen gegen Netzengpässe, der sogenannte Redispatch, verursachten 2021 Kosten in Höhe von 1,5 Mrd. €. Dazu kamen im gleichen Jahr Kosten in Höhe von 807 Mio € für Entschädigungszahlungen an Anlagenbetreiber, die ihren regenerativen Strom aufgrund von Netzengpässen nicht einspeisen konnten. Diese Kosten tragen wir alle über das Netzentgelt (15). Somit ist der Netzausbau zwar ein teures, aber unumgehbares Projekt, von dem wir letztendlich alle profitieren.

Autor: Lennart Kalweit

QUELLEN:


(1) Destatis (2023). Stromerzeugung im 1. Halbjahr 2023: 11,4 % weniger Strom als im Vorjahreszeitraum. Verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/09/PD23_351_43312.html#:~:text=Die%20nach%20Deutschland%20importierte%20Strommenge,Kilowattstunden%20(%2D18%2C1%20%25) (abgerufen am 30.10.2023)
(2) Krapp, Catiana (2023). So abhängig ist Deutschland von Strom aus dem Ausland. Verfügbar unter: https://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/energieversorgung-so-abhaengig-ist-deutschland-von-strom-aus-dem-ausland/29238638.html (abgerufen am 30.10.2023)
(3) ENBW Energie Baden-Württemberg AG. Pumpspeicherkrafwerke – Flexible Partner für den Energiemix der Zukunft. Verfügbar unter: https://www.enbw.com/media/konzern/docs/energieerzeugung/infobroschuere_pumpspeicher_1.pdf (abgerufen am 30.10.2023)
(4) Vattenfall GmbH. Pumpspeicherkraftwerk Goldisthal – das größte Pumpspeicherkraftwerk Deutschlands. Verfügbar unter: https://powerplants.vattenfall.com/de/goldisthal/#:~:text=Fakten%20zum%20Pumpspeicherkraftwerk%20Goldisthal&text=Das%20Oberbecken%20hat%20ein%20Fassungsverm%C3%B6gen,das%20Kraftwerk%20etwa%20100%20Sekunden (abgerufen am 30.10.2023)
(5) Vattenfall GmbH. Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht. Verfügbar unter: https://powerplants.vattenfall.com/de/geesthacht/ (abgerufen am: 30.10.2023)
(6) Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2021). Wichtiger Fortschritt beim Netzausbau: Leuchtturmprojekt NordLink geht offiziell in Betrieb. Verfügbar unter: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2021/05/20210527-wichtiger-fortschritt-beim-netzausbau-nordlink-geht-in-betrieb.html (abgerufen am: 30.10.2023)
(7) TenneT TSO GmbH. NordLink. Verfügbar unter: https://www.tennet.eu/de/projekte/nordlink (abgerufen am: 30.10.2023)
(8) Ahrens, Ralph H. (2021). Hoffen auf Norwegens Wasserkraft. Verfügbar unter: https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/hoffen-norwegens-wasserkraft/#:~:text=Wasserkraftwerke%20mit%2028%20GW%20installierter,Manche%20Kraftwerke%20werden%20zurzeit%20modernisiert (abgerufen am: 30.10.2023)
(9) Pitorac, Livia, Vereide, Kaspar und Lia, Leif (2020). Technical Review of Existing Norwegian Pumped Storage Plants.
(10) Kugler, Nina (2023). E-Auto und Wärmepumpe: Droht dem Stromnetz der Kollaps? Verfügbar unter: https://www.morgenpost.de/wirtschaft/article238628987/heizung-strom-waermepumpe-e-autos-kollaps-experten-warnung.html (abgerufen am: 30.10.2023)
(11) Bayrischer Rundfunk (2023). E-Autos und Wärmepumpen: Warnung for Stromnetz-überlastung. Verfügbar unter: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/e-autos-und-waermepumpen-mueller-warnt-vor-stromnetz-ueberlastung,TSvmR3C (abgerufen am: 30.10.2023)
(12) Klein, Oliver (2023). Zu viel für schwache Leitungen – Solarenergie bringt Stromnetz ans Limit. Verfügbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/stromnetze-belastung-photovoltaik-limit-100.html (abgerufen am: 30.10.2023)
(13) Schneider, Jan (2023). Stromnetze am Limit – Viel Lösungsansätze für die Energiewende. Verfügbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/energiewende-stromnetze-limit-100.html (abgerufen am: 30.10.2023)
(14) Zimmermann, Jan (2023). Bundesnetzagentur-Chef: Kosten für Netzausbau werden „heftig“. Verfügbar unter: https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/bundesnetzagentur-chef-kosten-fuer-netzausbau-werden-heftig,TZRdUNV (abgerufen am: 30.10.2023)
(15) Janzig, Bernward (2022). Zu langsamer Ausbau der Stromnetze – 800 Millionen Euro Entschädigung. Verfügbar unter: https://taz.de/Zu-langsamer-Ausbau-d.er-Stromnetze/!5902431/ (abgerufen am: 30.10.2023)

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