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Negative Strompreise – Systemisches Symptom und operative Konsequenz (Teil 2)

Operative Handlungsoptionen

Angesichts der verschärften Rechtslage und der zunehmenden Marktvolatilität stehen Betreiber vor der Frage, wie sie ihre Projekte wirtschaftlich absichern und zugleich neue Chancen nutzen können. Vier Handlungsfelder rücken dabei in den Vordergrund: Vertragsgestaltung, technische Flexibilität, operative Optimierung und die Integration von Lastverschiebung.

Ein entscheidender Ansatzpunkt liegt in der Vertragsgestaltung, insbesondere bei PPAs. In der Vergangenheit konnten Betreiber negative Preise weitgehend ignorieren oder sie spielten in Vertragsmustern nur eine untergeordnete Rolle. Heute ist eine präzise Regelung zwingend erforderlich. Absicherungen können in Form von Preisuntergrenzen, sogenannten Floors, gestaltet werden, die einen Mindestpreis auch in Zeiten negativer Börsenpreise garantieren. Ebenso verbreitet sind Klauseln, die den Käufer verpflichten, bei negativen Preisen bestimmte Mengen abzunehmen oder den Produzenten zu kompensieren. Wichtig ist außerdem die Festlegung der Abrechnungsbasis: Ob ein Vertrag auf Day-Ahead-, Intraday- oder künftig auf Viertelstundenpreisen basiert, entscheidet über das tatsächliche Risiko, das beim Betreiber verbleibt. Eine professionelle PPA-Struktur ist damit nicht mehr nur Ergänzung, sondern Kernstück der Risikosteuerung.

Neben vertraglichen Lösungen gewinnen technische Flexibilitätsoptionen an Bedeutung, allen voran Batteriespeicher (BESS). Sie ermöglichen es, Stromüberschüsse zwischenzuspeichern und in Zeiten höherer Preise wieder einzuspeisen. Als eigenständige Stand-alone-Anlage können Speicher Arbitrageerlöse und Einnahmen aus Regelleistungsmärkten generieren. In Verbindung mit einer Wind- oder Solaranlage – als Co-Location – stabilisieren sie den sogenannten Capture Price und reduzieren den Anteil von Null-Vergütungsstunden. Noch konsequenter ist die Integration in einem Full-Hybrid-Modell, bei dem Erzeugung, Speicher und Netzanbindung technisch und regulatorisch als Einheit betrachtet werden. Solche Lösungen erfordern komplexere Genehmigungs- und Bilanzierungsverfahren, eröffnen aber die größte Flexibilität und damit langfristig die robustesten Geschäftsmodelle.

Die operative Optimierung wird durch die Umstellung zu einer Schlüsselkompetenz. Prognosen müssen künftig mit höherer zeitlicher Auflösung erstellt werden, um Abweichungen und Ausgleichskosten zu vermeiden. Gleichzeitig gewinnt das Intraday-Handelssystem an Bedeutung: Betreiber müssen ihre Anlagen dynamisch steuern und Erlöse aus kurzfristigen Preisschwankungen heben können. Das setzt nicht nur leistungsfähige Prognosetools, sondern auch automatisierte Handels- und Dispatch-Algorithmen voraus. Wer hier frühzeitig investiert, sichert sich Effizienzvorteile gegenüber Wettbewerbern, die weiterhin mit manuellen oder starren Prozessen arbeiten.

Schließlich wird die Lastflexibilität zum vierten Handlungsfeld. Mit der Einführung dynamischer Tarife nach § 41a EnWG und dem fortschreitenden Smart-Meter-Rollout entsteht erstmals ein regulatorischer Rahmen, der flexible Nachfrage honoriert. Industrielle Verbraucher können ihre Prozesse stärker auf Preissignale ausrichten, während im Haushalts- und Gewerbesegment Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge und steuerbare Verbraucher wie Speicherheizungen Potenzial bieten. Auch die Kopplung mit Elektrolyseuren oder Power-to-Heat-Anlagen kann Überschüsse aus Erneuerbaren Energien (EE) wirtschaftlich nutzbar machen. Für Betreiber eröffnet sich damit die Chance, Flexibilitätspartner einzubinden und so Erlösrisiken zu reduzieren – entweder über direkte Beteiligungen an Flexibilitätsprojekten oder über Kooperationsmodelle mit Industriekunden.

Mittelfristige Lösungsansätze: Flexibilität und Netzausbau

Die kurzfristigen Anpassungen auf Betreiberseite reichen nicht aus, um das Problem negativer Preise dauerhaft zu entschärfen. Mittelfristig sind es vor allem strukturelle Maßnahmen im Energiesystem, die den Markt stabilisieren können. Drei Hebel stehen dabei im Mittelpunkt: der beschleunigte Netzausbau, der Einsatz von Speichern als Systemressource und die Einführung differenzierter Preissignale.

Der Netzausbau ist die zentrale Voraussetzung, um Erzeugungsüberschüsse effizient dorthin zu transportieren, wo sie gebraucht werden. Großprojekte wie SuedLink, SuedOstLink oder A-Nord sollen bis Ende des Jahrzehnts die Verbindung zwischen den windreichen Regionen im Norden und den verbrauchsstarken Regionen im Süden verbessern. Nach aktuellem Netzentwicklungsplan wird ein erheblicher Teil der Redispatch-Kosten durch diese Projekte vermieden werden können (1). Doch die Realität zeigt: Genehmigungsprozesse, Einsprüche und Lieferkettenprobleme verzögern die Fertigstellung. Für Betreiber bedeutet das, dass Netzausbau zwar langfristig Entlastung bringt, kurzfristig aber nicht auf eine Reduzierung negativer Preise gesetzt werden kann.

Ein zweiter Baustein sind systemdienliche Speicher. Anders als kommerzielle Speicher, die durch Arbitrage und Regelleistungen Einnahmen erzielen, dienen systemdienliche Speicher ausschließlich der Netzstabilität. Sie können kurzfristig Energie einspeisen oder aufnehmen und so Engpässe im Übertragungsnetz verhindern. Pilotprojekte wie der 250-MW-Speicher in Kupferzell von TransnetBW zeigen, dass solche Lösungen technisch funktionieren und künftig großflächig eingesetzt werden sollen (2). Parallel öffnen Übertragungsnetzbetreiber neue Märkte für Systemdienstleistungen, etwa im Bereich Blindleistung, an denen auch kommerzielle Speicher und hybride Anlagen teilnehmen können. Das eröffnet Betreibern zusätzliche Erlösquellen und schafft Anreize, Flexibilität an Netzengpasspunkten zu errichten.

Der dritte Hebel betrifft das Marktdesign und die Preissignale. Solange Deutschland und Luxemburg eine einheitliche Preiszone bilden, spiegeln Börsenpreise nicht die regionalen Knappheiten wider. Investitionen in Speicher und Flexibilität erfolgen damit häufig an den falschen Orten. Die Diskussion über eine Aufteilung in mehrere Preiszonen wird deshalb an Fahrt gewinnen. Zwar sind die politischen und gesellschaftlichen Widerstände groß, doch ohne differenzierte Preissignale bleibt die Fehlallokation bestehen. Ergänzend dazu werden bereits heute lokale Flexibilitätsmärkte erprobt, bei denen Verteilnetzbetreiber Lasten oder Speicher gezielt aktivieren, um Netzengpässe zu vermeiden. Für Betreiber entsteht dadurch die Möglichkeit, Erlöse nicht nur über die Börse, sondern auch über regionale Märkte zu erzielen.

Mittelfristig entscheidet sich die Zukunft negativer Preise nicht allein im Betrieb einzelner Anlagen, sondern auf der Ebene der Systemarchitektur. Ein schnellerer Netzausbau, die Integration von Speichern als Netzressource und kluge Preissignale können das Problem strukturell entschärfen. Für Betreiber ist es entscheidend, diese Entwicklungen zu beobachten und die eigene Projektstrategie darauf auszurichten – sei es durch Standortwahl, Beteiligung an neuen Märkten oder durch Kooperationen mit Netzbetreibern.

Szenarien 2030: Handeln oder Abwarten?

Wie sich negative Strompreise in den kommenden Jahren entwickeln, hängt maßgeblich davon ab, welche Maßnahmen Politik, Netzbetreiber und Marktakteure umsetzen. Szenarien bis 2030 zeigen, dass sich die Bandbreite möglicher Entwicklungen stark unterscheidet – vom Fortbestehen massiver Erlösausfälle bis hin zu einer weitgehenden Entschärfung des Problems.

Ein „Do-nothing“-Szenario, also das Fortschreiben des Status quo, würde zu einer weiteren Zunahme negativer Preise führen. Der Ausbau erneuerbarer Energien schreitet schneller voran als der Netzausbau, während die Flexibilitätsoptionen auf der Nachfrageseite nur zögerlich entwickelt werden. In diesem Fall könnten bis weit über 2030 jährlich deutlich mit über 1.000 Stunden mit negativen Preisen auftreten (3). Für Betreiber hieße das: eine noch stärkere Marktwert-Erosion, häufiger Null-Erlöse und zunehmende Unsicherheit für Investoren. Auch die gesamtwirtschaftlichen Kosten würden steigen, da Redispatch-Maßnahmen weiter zunehmen und über Netzentgelte letztlich auf Verbraucher umgelegt werden.

In einem Flexibilitäts-Szenario mit zügigem Ausbau von Batteriespeichern, Lastflexibilität und Power-to-X sinkt die Zahl negativer Preisstunden deutlich: Modellierungen zeigen, dass zusätzliche GW-Speicherkapazität negative Stunden spürbar reduziert und Capture-Preise stabilisiert; bei ausreichendem Ausbau ist bis 2030 sogar eine Halbierung möglich. Für Deutschland wird zugleich bis 2030 ein Speicherzubau in der Größenordnung zweistelliger GW modelliert, der Volatilität und Preisspitzen dämpft (4). Hinzu käme die systematische Einbindung industrieller Verbraucher über § 41a EnWG und Flexibilitätsmärkte auf Verteilnetzebene. Die Folge: Überschüsse würden in Flexibilität abgeleitet, statt in die Preise durchzuschlagen. Betreiber profitierten von stabileren Capture Prices, während Investoren in Projekten mit Speicherintegration höhere Planungssicherheit hätten.

Ein drittes Szenario setzt auf den Netzausbau. Mit der Fertigstellung von SuedLink und anderen Leitungen ab Ende des Jahrzehnts könnten Engpässe zwischen Nord und Süd deutlich reduziert werden. Damit ließen sich nicht nur Redispatch-Kosten senken, sondern auch negative Preise abmildern. Allerdings ist dieses Szenario stark von politischen Entscheidungen und Planungsrealitäten abhängig. Verzögerungen bei Genehmigung und Bau würden die Entlastung verschieben. Für Betreiber bedeutet das: Hoffnung auf strukturelle Verbesserungen, aber keine verlässliche Grundlage für Projektkalkulationen bis 2030.

Am wirksamsten erscheint ein Kombi-Szenario, in dem Flexibilität und Netzausbau zusammenwirken. Speicher und Lastverschiebung federn kurzfristig Preisspitzen ab, während neue Leitungen den Transportüberschuss langfristig stabilisieren. Ergänzt um differenzierte Preissignale – etwa über lokale Flexmärkte oder perspektivisch eine Reform der Preiszonen – entstünde ein System, das erneuerbare Überschüsse effizient integriert und Investitionssicherheit gewährleistet. Für Betreiber und Investoren ergibt sich daraus eine klare Botschaft: Abwarten ist die riskanteste Option. Wer heute auf Speicher, flexible PPAs und Kooperationen mit Lastpartnern setzt, positioniert sich für das Kombi-Szenario und kann Risiken begrenzen, statt ihnen ausgeliefert zu sein.

Ausblick

Negative Strompreise sind längst mehr als ein Randphänomen. Sie haben sich zu einem strukturellen Bestandteil des deutschen Strommarktes entwickelt – mit direkten Folgen für Betreiber, Investoren und Projektentwickler. Die Ursache liegt nicht in einem „Zuviel“ an EE, sondern im mangelnden Gleichgewicht zwischen Erzeugung, Nachfrage und Netzen. Solange diese strukturellen Defizite bestehen, werden negative Preise fester Bestandteil des Systems bleiben.

Mit der Reform des § 51 EEG hat der Gesetzgeber die Risiken unmittelbar auf Betreiber durchgereicht. Jede negative Viertelstunde bedeutet für Neuanlagen den Verlust des Förderanspruchs. Das erhöht den Druck, Projekte professioneller abzusichern: durch sorgfältig gestaltete PPA-Klauseln, die Integration von Speichern, viertelstundenbasierte Optimierung und die Zusammenarbeit mit flexiblen Verbrauchern. Betreiber, die diese Instrumente nutzen, können ihre Erlöse stabilisieren und sich Wettbewerbsvorteile sichern.
Mittelfristig hängt die Entschärfung negativer Preise von systemischen Maßnahmen ab. Ein beschleunigter Netzausbau, die Integration von Speichern als Netzressource und die Einführung differenzierter Preissignale sind die zentralen Stellschrauben. Nur in einem solchen Gesamtrahmen kann die Energiewende nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch nachhaltig gestaltet werden.

Für Betreiber und Investoren bedeutet das: Abwarten ist keine Option. Wer jetzt handelt, seine Strategien anpasst und in Flexibilität investiert, stellt sicher, dass negative Preise nicht zum Risiko, sondern zum Anstoß für zukunftsfähige Geschäftsmodelle werden.

Autor: Jakob Döring

QUELLEN:
(1) Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) (2025). Aktueller Stand des Netzausbaus (Übertragungsnetz). Verfügbar unter: https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/ Redaktion/DE/Downloads/M-O/netzausbau-schreitet-voran.pdf (abgerufen am 25.08.2025).
(2) TransnetBW (o. J.). Netzbooster Kupferzell. Verfügbar unter: https://www.transnetbw.de/de/ netzentwicklung/projekte/netzbooster-kupferzell (abgerufen am 25.08.2025).
(3) pv magazine Deutschland (2025). Enervis erwartet Zunahme negativer Strompreisstunden in Deutschland bis 2034. Verfügbar unter: https://www.pv-magazine.de/2025/07/21/enervis-erwartet-zunahme-negativer-strompreisstunden-in-deutschland-bis-2034/ (abgerufen am 25.08.2025).
(4) Energy Storage (2024). Energy storage can mitigate Germany’s negative electricity prices. Verfügbar unter: https://www.ess-news.com/2024/11/15/energy-storage-can-mitigate-germanys-negative-electricity-prices/ (abgerufen am 25.08.2025).

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