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Der Hybridturm von Windenergieanlagen: Die Erschließung neuer Horizonte mit Risiken und Nebenwirkungen

Einleitung

Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Energie-zukunft hat die Bundesregierung ehrgeizige Ziele formuliert: Bis zum Jahr 2030 soll der Strom aus Erneuerbaren Energien verdoppelt werden. Ein maßgeblicher Bestandteil dieser Initiative ist das „Wind-an-Land-Gesetz“, das seit Februar 2023 in Kraft getreten ist und den Ausbau von Wind-energieanlagen (WEA) beschleunigen soll (1). Außerdem sind die Bundesländer angehalten bis 2027 1,4 % der Fläche für die Windenergie auszuweisen, eine Quote, die bis 2032 auf 2 % steigen wird. Dies signalisiert nicht nur einen klaren politischen Willen, sondern auch eine praktische Verpflichtung zur Schaffung geeigneter Flächen für den Ausbau der Windenergie.

Neben der Bereitstellung der Flächen durch die Bundesländer schreitet die Entwicklung der WEA stetig voran. Vor dem Hintergrund der Ertrags-maximierung vergrößern sich sowohl der Rotordurchmesser als auch die Nabenhöhe der Anlagen. Im Jahr 1990 betrug die mittlere Gesamthöhe der größten in Deutschland gebauten WEA 40 m. Dabei lieferten sie eine mittlere Nennleistung von 0,5 MW. Schon 25 Jahre später erreichten die größten WEA eine Gesamthöhe von 200 m und eine Nennleistung von 2,5 MW. Im Jahr 2022 stieg die Gesamthöhe bis auf 245 m an. Die mittlere Nennleistung dieser Anlagen beträgt 6,2 MW (Abbildung 1, (2)). Seit 1990 stieg damit die maximale Höhe der WEA um den Faktor 6 an, wobei sich die mittlere Nennleistung um den Faktor 12,4 vergrößerte.

Abbildung 1: Schematische Darstellung der Erträge von Onshore-WEA mit zunehmender Höhe (eigene, qualitative Darstellung nach (2), (5))

Zwei Parameter haben einen entscheidenden Einfluss auf die Nennleistung einer WEA, der Rotordurchmesser und die Windgeschwindigkeit. Das Betz’schen Gesetz (Formel 1, (3)) ist eine theoretische Berechnung der an einer WEA erzeugten Leistung P in Abhängigkeit von der Luftdichte ρ, dem theoretisch bestimmten Betz’schen Wert cp (cp,max = 59 %), dem Radius der Rotorblätter r und der Windgeschwindigkeit V. Der Radius der Rotorblätter geht quadratisch und die Windgeschwindigkeit sogar mit der dritten Potenz in die Berechnung der erzeugten Leistung P ein. Der Betz’sche Wert ist dabei das physikalische Limit der Kraftübertragung des an der WEA angreifenden Windes.

Formel 1: Das Betz’sche Gesetz

Die Windgeschwindigkeit hängt jedoch von einem weiteren Faktor ab, den die Formel nicht beinhaltet, die Oberflächenrauigkeit. Die Ober-flächenrauigkeit beschreibt die Veränderung der Windgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Haftreibung in Bodennähe (4). Die Haftreibung wird u. a. von der Oberflächentextur des Geländes sowie der Höhe der Vegetation und der Art der Besiedelung beeinflusst. Sie reduziert die Windgeschwindigkeit und führt zur Ausbildung von Turbulenzen. Mit zunehmender Entfernung zur Oberfläche nehmen die Turbulenzen ab (Abbildung 2, (5)) und die Windgeschwindigkeit logarithmisch zu (4).

Dementsprechend ist das Ziel, WEA möglichst hoch und mit großen Rotordurchmessern zu bauen. Mit zunehmender Größe der Anlagen entstehen jedoch logistische Probleme. Da die Einzelteile einer WEA mittels LKW an die entsprechenden Orte transportiert werden, hängt der Transport von den Straßenführungen ab. Stahltürme werden dafür in einzelne Segmente von 20 – 30 m Länge unterteilt. Durch die konische Form der Türme steigt der Durchmesser der untersten Stahlsegmente bei zunehmender Nabenhöhe. Die Stahlsegmente oberhalb des Fundaments können hierbei einen Durchmesser von derzeit bis zu 8,7 m erreichen ((6),(7)). Die Unterführungen von Brücken haben in Deutschland in der Regel jedoch nur eine Höhe von 4,5 – 4,7 m. Das Logistikunternehmen muss daher bei der Planung des Transports jede Brücke umfahren. Daraus folgt eine Verlängerung von Transportstrecken und eine deutliche Zunahme der Kosten für den Bau der WEA. Eine mögliche Lösung dieser Problematik stellt die Hybridbauweise, eine Stahlbetonturmkonstruktion mit einem darauf befestigten Stahlturm, dar.

Erschließung neuer Höhen durch den Bau von Hybridtürmen

Mit dem Bau von Hybridtürmen, u. a. die Türme der Max Bögl Wind AG, werden Nabenhöhen von 130 m (8) bis inzwischen 190 m (9) erreicht, wodurch die Winderträge signifikant zunehmen.
In Abbildung 2a ist eine Variante der Segmentbauweise für Hybridtürme der Firma Max Bögl Wind AG dargestellt. Die Basis für den Hybridturm bilden runde Stahlbetonsegmente Betonsegmente zwischen dem Fundament bis zum Adapter. Die Betonsegmente werden als Fertigbauteile zur Baustelle transportiert und haben im Gegensatz zu den Stahlsegmenten eine geringe Höhe. Vor Ort werden für eine Ebene bis zu vier Betonsegmente miteinander verschraubt und die vertikalen Fugen mit Mörtel verfüllt.
Im Einsatz sind die Betonsegmente großen Lasten ausgesetzt. Aus diesem Grund bestehen die Betonsegmente des Hybridturms aus hochfestem Beton (10). Hochfester Beton zeichnet sich durch eine hohe Tragfähigkeit aus, die mit einem reduzierten Materialeinsatz im Vergleich zu herkömmlichen Segmenten aus Normalbeton einhergeht. Der größte Schwachpunkt von Beton ist jedoch die Zugfestigkeit, diese entspricht etwa nur 10 % der Druckfestigkeit. Aus diesem Grund werden Bewehrungsstäbe in den Betonsegmenten umlaufend und axial in Form von Maschen verbaut, um die aus den Lasten resultierenden Zugkräfte aufzufangen.
Vom Fundament bis zum Adapterring werden die verknüpften Betonsegmente aufeinandergestellt. Lediglich kleine Einkerbungen halten die einzelnen Segmente horizontal an ihrer Position, die restliche Stabilität erhalten die Segmente durch ihr Eigengewicht. Ein besonderes Bauteil ist der Adapter, welches das letzte Betonsegment und damit das Bindeglied zum Stahlturm darstellt (Abbildung 2b).

Abbildung 2 Übersichtsschema eines Max Bögl Hybridturms (a) und dem Adapter (b) (eigene, qualitative Darstellung nach (11))

Die Wandstärke des Adapters ist größer als die Wandstärke der restlichen Betonsegmente. Während der Betonage werden Ankerbolzen zur Befestigung des Stahlturms auf dem Adapter verbaut sowie eine Stahlplatte auf den Adapter gesetzt, um die Kräfte auf eine ebene Fläche zu verteilen. Durch eine Bohrung wird das Fundament über Spannglieder mit dem Adapter verbunden. Die so entstehenden Spannkräfte erhöhen die Druckspannungen der einzelnen Segmente und reduzieren mögliche Zugspannungen im Betrieb. Der Stahlturm wird über einen Befestigungsflansch mit den im Beton eingelassenen Ankerbolzen verschraubt. Der Flansch ist die einzige Verbindung vom Stahlturm zu den Betonsegmenten.

Bauteilermüdung des Adapters

Die Grundlage der Ermüdung des Betonadapters sind die im Betrieb auftretenden Lasten. Da die Rotorblätter die vom Wind anliegenden Kräfte aufgreifen, entstehen Schubkräfte in Richtung der Rotorachse. Resultierend aus diesen Schubkräften entstehen Biegemomente, die zu erhöhten Spannungen im Bauteil führen (12). Zusätzlich auftretende Torsionsmomente sind eine Folge von ungleichmäßigen Windkräften sowie schnellen Änderungen der Windrichtung (Abbildung 3).
Die kritische Komponente der Ermüdungserscheinungen von Beton ist jedoch die Zeit. Die wiederholt zyklisch auftretenden Druck- und Zugspannungen führen zur Ausbildung von Rissen und Risssystemen im Bauteil (13). Die Erhöhung der vertikalen Druckspannungen auf den Adapter resultieren in einer Ausbildung von Querzugspannungen senkrecht dazu. Wird die Zugfestigkeit des Betons überschritten, treten als Folge Vertikalrisse auf. Gleichzeitig entstehen Zugspannungen auf der gegenüberliegenden Seite des Adapters, die zu Horizontalrissen führen können.

Abbildung 3: Schematische Darstellung der Ermüdung eines Stahlbeton-Stahl-Hybridturms (eigene, qualitative Darstellung nach ((14), (15))

Während der Sichtinspektion werden diese Risse auf der Oberfläche mit dem Lineal vermessen. Mit Hilfe des vom Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (DBV) herausgegebenen Merkblatts (16) werden Risshäufigkeiten und -breiten eingeordnet. Innere Schädigungen des Bauteils können bei der Sichtinspektion jedoch nicht abgeschätzt werden. Ausgeprägte Risssysteme im Inneren des Bauteils reduzieren die Tragfähigkeit und bieten eine weitere Angriffsfläche für Folgeschäden.
Der Adapter ist über die Laufzeit vielen wechselnden Witterungsbedingungen ausgesetzt. Sowohl Regen als auch Schnee können zu einem Feuchteeintrag in größere Bauteiltiefen führen. Die im Bauteil eingebrachte Stahlbewehrung reagiert mit der Feuchtigkeit und korrodiert. Folglich dehnt sich die Stahlbewehrung aus und führt zur Ausbildung erhöhter Spannungen im Betongefüge (17). Des Weiteren besteht die Gefahr der Frostsprengung. Das im Risssystem gelagerte Wasser gefriert und dehnt sich aus. Als Folge werden die Druck- und Zugspannungen im Betongefüge erhöht. Überschreiten die Zugspannungen die Zugfestigkeit des Betons entstehen weitere Risse. Nahe der Oberfläche können diese Risse sogar zum Abplatzen von Betonfragmenten führen. In jedem Fall sinkt die Tragfähigkeit des Bauteils nachhaltig und kann die Stillsetzung der WEA zur Folge haben.

Lösungsansatz: Monitoring

Die Überwachung der Ermüdung von Hybridtürmen ist von entscheidender Bedeutung, um die langfristige Stabilität und Sicherheit dieser Anlagen sicherzustellen. Zerstörungsfreie Messtechnik erweist sich als zuverlässige Methode, um frühzeitig auf mögliche Schäden und Ermüdungsrisiken hinzuweisen (12). Dehnmess-streifen sind eine bewährte Methode, um die Schub- und Torsionsbewegungen am Adapter präzise zu überwachen. Diese Sensoren werden an Turmsegmenten angebracht und erfassen die durch Biegung und Torsion verursachten Verformungen des Materials.
Die Witterungsbedingungen haben einen erheblichen Einfluss auf die strukturelle Integrität des Adapters. Feuchtigkeits- und Temperatursensoren sind in der Lage, Feuchteeinträge des Bauteils sowie Temperaturschwankungen zu erfassen.

Die Schallemissionsmessung ist eine effektive Methode zur Überwachung von akustischen Signalen in Folge von Spannungsentladungen im Bauteil. Mit der Schallemission können äußerlich nicht sichtbare Risse erfasst und damit die Resttragfähigkeit des Betonbauteils abgeschätzt werden. Die gesammelten Daten aus den verschiedenen Sensoren bilden die Grundlage für die Verbesserung von Modellen zu Ermüdungsprognosen bestehender und neuer WEA. Mit diesen Informationen können genauere Vorher-sagen über die Lebensdauer getroffen und das Risiko von Stillsetzungen minimiert werden.

Insgesamt sind die Überwachung der Ermüdung von Hybridtürmen und die Entwicklung fortschrittlicherer Techniken zur Sicherstellung ihrer Integrität von größter Bedeutung. Dies ist ein Schlüssel zur Maximierung der Effizienz und Sicherheit von WEA und damit zur Förderung einer nachhaltigen Energiewirtschaft.

Fazit

Vor dem Hintergrund kontinuierlich steigender Nabenhöhen haben Hybridtürme durch den vereinfachten und kostengünstigeren Transport der Betonsegmente einen großen Vorteil gegenüber WEA mit reinen Stahltürmen. Im Rahmen der Ressourcenschonung werden zudem neuartige Betone mit sehr hoher Festigkeit eingesetzt, um den hohen Lasten aufgrund der steigenden Nabenhöhen standzuhalten und den Materialeinsatz zu minimieren. Die Ermüdung des Bauteils nimmt durch die stetigen Lastwechsel mit der Dauer der Lebenszeit zu. Daher ist eine kontinuierliche Kontrolle des Bauteils ein wichtiger Bestandteil zum Erhalt der Standsicherheit. Hierbei kann die zerstörungsfreie Messtechnik eine entscheidende Rolle spielen, denn diese macht Schäden sichtbar, welche dem menschlichen Auge verborgen bleiben.

Autor: André Kobe

QUELLEN:


(1) Die Bundesregierung (2023). „Wind-an-Land-Gesetz“ – Mehr Windenergie für Deutschland. Verfügbar unter: https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/wind-an-land-gesetz-2052764 (abgerufen am 31.08.2023)

(2) Bundesverband WindEnergie (BWE) (2023). Jahrbuch Windenergie 2023|2024 (Nr. 33). Berlin: BWE

(3) Betz, A. (1920). Das Maximum der theoretisch möglichen Ausnützung des Windes durch Windmotoren. Zeitschrift für das gesamte Turbinenwesen, Heft 26

(4) Namyslo, J. & Koßmann, M. (2019). Merkblatt: Bestimmung effektiver Rauigkeitslängen an Windmessstationen aus topographischen Karten (TK-Verfahren), Deutscher Wetterdienst, Verfügbar unter: https://www.dwd.de/DE/leistungen/gutachtenqpr/z0_aus_topo_karten.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (abgerufen am 06.09.2023)

(5) Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie (2021). Bayerischer Windatlas – Potential der Windenergie in Bayern. Verfügbar unter: https://www.stmwi.bayern.de/fileadmin/user_upload/stmwi/publikationen/pdf/2021-10-19_Bayerischer_Windatlas_BF.pdf (abgerufen am 14.08.2023)

(6) BWE (2023). Transport von Windenergieanlagen. Verfügbar unter: https://www.wind-energie.de/themen/anlagentechnik/montage-und-errichtung/transport/ (abgerufen am 05.09.2023)

(7) Enercon Windblatt (2019). MST-Prototyp: EP3 Turm aus dem Metallbaukasten. Verfügbar unter: https://www.enercon.de/fileadmin/Redakteur/Medien-Portal/windblatt/pdf/Windblatt_02_19_DE.pdf (abgerufen am: 05.09.2023)

(8) Max Bögl Wind AG (2023). Erneuerbare Energien. Verfügbar unter: https://max-boegl.de/leistungsbereiche/erneuerbare-energien (abgerufen am 06.09.2023)

(9) Max Bögl Wind AG, Höchstleistung. Windenergie effizient nutzen. Verfügbar unter: https://www.mbrenewables.com/turmkonzept/, (abgerufen am 06.09.2023)

(10) Informationszentrum Beton GmbH, Hochleistungsbeton. Verfügbar unter: https://www.beton.org/betonbau/beton-und-bautechnik/beton-bautechnik/hochleistungsbeton/ (abgerufen am 05.09.2023)

(11) Max Bögl Bauunternehmung GmbH Co KG. (2011) Deutsches Patent- und Markenamt. Verfügbar unter: https://patentimages.storage.googleapis.com/a0/b8/78/8d90ef838dae7e/DE102010039796A1.pdf (abgerufen am 04.09.2023)

(12) Botz, M. (2022). Structural Health Monitoring der Tragstruktur von Windenergieanlagen – Optimierter Messaufbau, Überwachung modaler Parameter und Lebensdauerprognose. Dissertation, Technische Universität München

(13) Thiele, M. & Pirskawetz, S. (2022). Analysis of Damage Evolution in Concrete under Fatigue Loading by Acoustic Emission and Ultrasonic Testing. Materials

(14) Hartwig, S. (2020). Torsionstragemodell extern vorgespannter Kreisringsegmente mit trockenen Fugen. Dissertation, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover

(15) Botz, M., Oberlander, S., Raith, M. & Große, C.U. (2016). Monitoring of Wind Turbine Structures with Concrete-Steel Hybid-tower Design. 8th European Workshop on Structural Health Monitoring, Bilbao, Spain

(16) Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein E.V. (2016). Bautechnik – Begrenzung der Rissbildung im Stahlbeton- und Spannbetonbau. Merkblatt

(17) Moccia, F., Ruiz, M. F. & Muttoni A. (2021). Spalling of concrete cover induced by reinforcement. Engineering Structures, Heft 237)

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