Einführung
Ein Sommerabend auf dem Flugplatz Finowfurt bei Eberswalde. Hinter dem Zaun öffnet sich der Blick auf ein Meer bläulich schimmernder Solarmodule. Für einen Moment entsteht tatsächlich der Eindruck, an der See zu sein. Seit mehr als 10 Jahren produziert hier auf einem alten Militärgelände das zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme größte Solarkraftwerk Europas „Finow Tower“ fossil-freien Strom. 84,6 MW Leistung, etwa 300.000 Module, Strom für mehr als 23.000 Haushalte – eine hoch technologisierte Landschaft, so wirkt es (1). Doch hält man für einen Moment inne, fällt noch etwas auf: Stille. Der Lärm militärischer Übungen ist den Geräuschen der Natur gewichen. Eine Feldlerche singt, die Gräser der Blühwiese bewegen sich sacht im Wind und ein Mäusebussard schwingt sich zu einem abendlichen Rundflug in die Lüfte. Ein intaktes Ökosystem, wie es scheint. Geht es also doch – sauberen Strom erzeugen und der Natur etwas Gutes tun? Klima- und Naturschutz vereinen? Die Antwort: Es kommt darauf an…
Eine vom Bundesverband neue Energiewirtschaft (bne) in Auftrag gegebene Studie wertete im Jahr 2019 Untersuchungen zu insgesamt 75 Freiflächen-Photovoltaikanlagen (FF-PVA) hinsichtlich des Vorkommens seltener Tier- und Pflanzenarten aus, darunter auch die FF-PVA in Finowfurt. Das Ergebnis: FF-PVA können unter bestimmten Voraussetzungen tatsächlich einen positiven Effekt auf die lokale Artenvielfalt haben (2). Durch ein Monitoring der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde (HNE) konnte in Finowfurt beispielsweise ein Anstieg der Zaun-eidechsen-Populationen verzeichnet werden, die von den trockenen, offenen Flächen profitieren. Zudem kommen mehr als 50 % aller Heuschreckenarten Brandenburgs hier vor und finden auf den kaum betretenen Grünflächen Nahrung und Schutz. Auch seltene Vogelarten, wie zum Beispiel der Wiedehopf, haben sich angesiedelt und brüten im Gebiet (s. Abbildung 1) (2).
Abbildung 1: Wiedehopf im Solarpark Finow Tower (2))
Ob eine FF-PVA die Artenvielfalt positiv beeinflusst, hängt jedoch davon ab, ob bestimmte Faktoren berücksichtigt werden. Ist zum Beispiel der Abstand zwischen den einzelnen Modulreihen zu gering, reduziert sich die von der Sonne beschienene Bodenfläche und damit der Lebens-raum für wärmeliebende Tierarten, wie die Zauneidechse (3). Reicht der umgebende Zaun bis zum Boden und bietet keine Passiermöglichkeiten, gehen Wanderkorridore und Habitate für Reptilien, Amphibien und Kleinsäuger verloren – in diesem Fall hat die FF-PVA negative Auswirkungen auf ganze Artengruppen. Es lohnt sich daher, genauer hinzusehen und zu beleuchten, wann ein PV-Park tatsächlich ein Gewinn für den Naturschutz darstellt.
Naturverträgliche PV-Parks – wie geht das?
Erholung für den Boden
Wird eine FF-PVA auf einer intensiv bewirtschafteten Ackerfläche errichtet, geht damit in der Regel auch eine Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung einher, mit positiven Folgen für den Wasser- und Bodenhaushalt. Direkte Stoffeinträge werden unterbunden und durch den Verzicht auf Düngung und Pflanzenschutzmittel kann der Boden regenerieren. Die Anlage von extensivem, regelmäßig gepflegtem Grünland unter und zwischen den Modulen schafft (selten gewordene) nährstoffarme Flächen, wodurch konkurrenz-schwache Pflanzenarten gefördert werden (3). Darüber hinaus trägt eine dauerhafte Begrünung dazu bei, den Wasserhaushalt auf der Fläche zu verbessern und Bodenerosion entgegenzuwirken. Selbst Moorstandorte können profitieren: Auf degradierten Moorböden kann die Errichtung einer FF-PVA zu einer Erholung des Moores führen unter der Voraussetzung, dass mit dem Bau Maß-nahmen wie eine geringe Modulanzahl, ange-passte Fundamente und die Wiedervernässung der Moorfläche (z. B. Grabenverschluss) umgesetzt werden (4).
Die mittlerweile übliche Verwendung von Rammfundamenten ermöglicht eine geringe Bodenversiegelung von max. 3 – 5 %, die durch Maß-nahmen wie eine naturnahe Gestaltung von Fahrwegen weiter reduziert werden kann. Ins-gesamt ist nach Möglichkeit die Überschirmung der Fläche durch PV-Module auf max. 70 % zu begrenzen, um eine übermäßige Verschattung und eine punktuelle Ansammlung von Niederschlagswasser zu vermeiden (5).
Ruhe vor dem Menschen
Aus versicherungstechnischen Gründen werden PV-Parks meist eingezäunt, was eine Beruhigung der Flächen zur Folge hat. Abgesehen von gelegentlichen Wartungs- und Pflegearbeiten findet kein menschliches Betreten mehr statt, wodurch sich Ruhezonen für sensible Tierarten entwickeln können. Solche Flächen sind in der heutigen Kulturlandschaft selten geworden und ermöglichen eine ungestörte Entwicklung von Flora und Fauna. Die Einzäunung hält auch Hunde und andere Karnivoren (Fleischfresser) fern, wodurch sich der Jagddruck auf sensible Arten in diesen Bereichen reduziert. Durch Abstände zwischen Zaun und Geländeoberkante kann gleichzeitig sichergestellt werden, dass kleinere Tiere wie Amphibien, Reptilien oder Kleinsäuger passieren können. Um ein Überwachsen der Module zu vermeiden, ist eine regelmäßige Pflege des Grünlands durch Mahd oder Beweidung und damit ein gelegentliches menschliches Eingreifen erforderlich. Durch den Verzicht auf Befahren mit schweren Mähfahrzeugen wird die Störung sensibler Tierarten reduziert und die Bodenverdichtung minimiert. Der Abtransport des Mahdgutes stellt zudem sicher, dass Nährstoffe nicht entzogen werden und sich die Flächen regenerieren können (1). Erfolgt die Pflege des Grünlandes sukzessiv, z. B. durch eine (portions-weise) Schafbeweidung oder eine Mosaikmahd, sind ein kontinuierliches Nahrungsangebot und Rückzugsmöglichkeiten gewährleistet. Weidetiere wie Schafe tragen darüber hinaus dazu bei, Diasporen zu verbreiten und offene Flächen zu schaffen, die der Keimung konkurrenzschwacher Arten dienen. Durch die Begrünung von Zaunelementen und die Schaffung von eingrenzenden Gehölzstrukturen können Sichtschutzeffekte erzielt und eine weitere Beruhigung der Flächen erreicht werden (3).
Lebensraum schaffen und erhalten
Durch die Umwandlung vormals intensiv genutzter landwirtschaftlicher Flächen in Grünland können neue Lebensräume geschaffen werden. Die Verwendung von gebietseigenem Saatgut und die Pflanzung heimischer Gehölze fördert die Entwicklung standortangepasster Biotopstrukturen. Werden bestehende Biotopstrukturen wie Wegeböschungen oder Altbäume erhalten, können bestehende Populationen geschützt und die Annahme neu geschaffener Habitate gefördert werden (3).
Eine reiche Strukturierung der Fläche führt zur Entstehung von Licht-, Halbschatten- und Schattenbereichen, so dass sich Tier- und Pflanzenarten mit unterschiedlichen Habitatansprüchen ansiedeln können. Durch die Schaffung von Sonderbiotopen und Ersatzlebens-räumen für bestimmte Zielarten kann das Artenspektrum weiter erhöht werden (6). Abbildung 3 zeigt ein Beispiel für eine FF-PVA mit einer vielseitigen Strukturierung der Fläche.
Insbesondere bei größeren Anlagen ist es wichtig, Wanderkorridore für Großsäuger und andere Tierarten vorzusehen, um die Barrierewirkung der Anlage zu reduzieren. So kann einer großflächigen Zerschneidung der Landschaft entgegengewirkt und der Austausch von Populationen sicher-gestellt werden (3).
Abbildung 2: Reich strukturierte FF-PVA mit Blühstreifen, offenen Flächen und Gewässer (6))
Darüber hinaus kann der Biotopwert von FF-PVA auch durch einfache Maßnahmen wie die Anbringung von Nisthilfen für Brutvögel, das Belassen von Steinhaufen für Reptilien oder die Anbringung von Ansitzen für Greifvögel erhöht werden (s. Abbildungen 4 und 5). Diese „low hanging fruits“ sind in der Regel kostengünstig umsetzbar und können freiwillig ergänzend zu obligatorischen Maßnahmen durchgeführt werden (5).
Abbildung 3: Nistmöglichkeit unter einem Solarmodul (3))
Abbildung 4: Zauneidechsen Habitat als Kleinstbiotop (6))
Interessanterweise scheinen sowohl kleinere als auch größere FF-PVA spezifische Potentiale in Bezug auf das Lebensraumpotential aufzuweisen: Kleine Anlagen können als Trittsteinbiotope fungieren, d. h. sie schaffen Verbindungen zwischen größeren Habitaten und wirken als Korridore. Große Anlagen hingegen können bei entsprechender Planung selbst Habitate bilden und den Erhalt oder Aufbau ganzer Populationen z. B. von Zauneidechsen oder Brutvögeln (1).
Teil 2 des Leitartikels folgt im August
Autor: Simon Hoffmann
QUELLEN:
(1) TFV Technischer Fachverlag GmbH (2011): Größtes Solarkraftwerk Europas entsteht in der Schorfheide. Verfügbar unter: https://www.erneuerbareenergien.de/solar/photovoltaik-freiflaechenanlagen-groesstes-solarkraftwerk-europas-entsteht-der-schorfheide. (abgerufen am: 16.06.2023)
(2) Bundesverband Neue Energiewirtschaft (bne) e.V. (2019): Solarparks – Gewinne für die Biodiversität. Verfügbar unter: https://www.bne-online.de/fileadmin/bne/Dokumente/20191119_bne_Studie_Solarparks_Gewinne_fuer_die_Biodiversitaet_online.pdf (abgerufen am: 16.06.2023)
(3) Hietel, E., Reichling, T. und Lenz, C. (2021): Leitfaden für naturverträgliche und biodiversitätsfreundliche Solarparks – Maßnahmensteckbriefe und Checklisten. Verfügbar unter: https://www.th-bingen.de/fileadmin/projekte/Solarparks_Biodiversitaet/Leitfaden_Massnahmensteckbriefe.pdf (abgerufen am 16.06.2023)
(4) Energieagentur Ebersberg-München (2022): Aktiver Moorschutz und PV-Freiflächenanlagen. Einschätzung zur Eignung ehemaliger Moorflächen für Solar-Freiflächenanlagen. Verfügbar unter: https://www.energieagentur-ebe-m.de/data/dokumente/konzepte%20ebe%20m/2022-05-25_Bericht_Vereinbarkeit_Moorschutz_und_PV-Freiflchenanalgen_AN.pdf (abgerufen am: 19.06.2023)
(5) Demuth, B., Maack, A (2015): Klima- und Naturschutz: Hand in Hand. Ein Handbuch für Kommunen, Regionen, Klimaschutzbeauftragte, Energie-, Stadt- und Landschaftsplanungsbüros. Verfügbar unter: https://www.bfn.de/sites/default/files/2021-05/EKon_Heft6.pdf (abgerufen am: 16.06.2023)
(6) Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg (2019): Freiflächensolaranlagen. Handlungsleitfaden. Verfügbar unter: https://www.wir-leben-genossenschaft.de/files/Handlungsleitfaden_Freiflaechensolaranlagen(2).pdf (abgerufen am: 16.06.2023)