Die Windenergiebranche ist eine der am schnellsten wachsenden Industrien weltweit (1). Mit dem Wachstum dieser Branche steigen jedoch auch die Herausforderungen in Bezug auf die Arbeitssicherheit. Windenergieanlagen (WEA) sind oft in abgelegenen Gebieten oder auf hoher See installiert, was besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert. Zwei zentrale Werkzeuge der Arbeitssicherheit in der Windenergie sind die objektorientierte Gefährdungsbeurteilung und die Erarbeitung eines funktionierenden Notfallkonzepts zur Rettung von verunfallten Personen.
Verantwortlich für die Arbeitssicherheit, etwa bei Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten sowie erforderlichen Prüfungen an WEA sind die Anlagenbetreibende. Denn sobald Unternehmen und Personen Anlagen betreiben, ist es notwendig eine Reihe von Pflichten zu beachten, in diesem Zusammenhang wird von Betreiberpflichten bzw. Betreiberverantwortung gesprochen. Doch viele Betreibende sind sich ihrer Verantwortung nicht umfassend bewusst, oft werden Aufgaben an Dritte delegiert, ohne das sichergestellt wird, dass der Arbeitsschutz gewährleistet ist (2).
Objektorientierte Gefährdungsbeurteilung
Die Gefährdungsbeurteilung (GBU) ist laut Arbeitsschutzgesetz (3) und Betriebssicherheitsverordnung vorgeschrieben und gleichzeitig eine Absicherung für den Betreibenden der WEA. Die Erstellung der GBU kann durch die betreibende Person selbst durchgeführt oder an einen Dienstleister delegiert werden. In jedem Fall verbleibt die Verantwortung bei dem Betreibenden und daher muss bei der Delegation darauf geachtet werden, dass die Erstellung von einem fachlich geeigneten Delegationsempfangenden durchgeführt wird.
Die objektorientierte GBU für WEA ist ein systematischer Ansatz, um alle potenziellen Gefahren zu identifizieren und zu bewerten, die mit verschiedenen Anlagenteilen und Arbeitsabläufen verbunden sind. Durch die Zuordnung von Gefährdungen zu spezifischen Objekten (z.B. Turm, Gondel, Steigsystem) wird eine effiziente und rechtssichere Dokumentation ermöglicht. Dies umfasst nicht nur die technischen Aspekte der WEA, sondern auch die Arbeitsumgebungen und -bedingungen, unter denen die Beschäftigten während der Bau- und Betriebsphase tätig sind. Eine solche Beurteilung muss regelmäßig aktualisiert werden, um Veränderungen in den Arbeitsprozessen oder neuen Erkenntnissen Rechnung zu tragen.
Die Durchführung der GBU beinhaltet dabei die folgenden Punkte:
• Beschreibung der Arbeitsbereiche und Tätigkeiten, die in diesen durchgeführt werden
• Ermittlung der Gefährdungen, z.B. durch Wetterbedingungen, Absturz, elektrischen Strom
• Beurteilung der Gefährdungen nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere der möglichen Folgen
• Festlegung von Schutzmaßnahmen nach dem TOP-Prinzip durch technische Absicherungen, organisatorische Maßnahmen und persönliche Schutzausrüstung (PSA)
• Durchführung von Maßnahmen, z.B. die Schulung von Mitarbeitenden
• Wirksamkeitskontrolle und Überarbeitung, mindestens jährlich oder bei wesentlichen Änderungen
Die DGUV Information 203-007 „Windenergie-anlagen“ bietet eine praxisnahe Handlungsanleitung zur Durchführung der GBU. Sie zeigt diejenigen Gefährdungen auf, die in der Windenergie als besonders bedeutend angesehen werden, und beschreibt beispielhaft geeignete Schutzmaßnahmen bei Arbeiten in und an WEA. Diese Informationen sind sowohl für betreibende Firmen als auch für Fachkräfte für Arbeitssicherheit, betriebsärztliche Dienste und Sicherheitsbeauftragte von großem Nutzen (4).
Als Beispiel für die Durchführung der GBU seien die Arbeiten an den Rotorblättern einer WEA genannt. Aus der GBU geht hervor, dass ein Absturz mit hoher Wahrscheinlichkeit tödliche Folgen haben kann. Bei der Durchführung von Inspektionen, kann die Gefahrenquelle durch den Einsatz von Drohnen außer Kraft gesetzt werden, da sich die Person, die die Drohne bedient auf dem Boden befindet. Anders sieht es bei sich ggf. anschließenden Reparaturarbeiten an den Blättern aus. Hier lässt sich ein Arbeiten in großen Höhen nicht vermeiden und das Risiko nur durch organisatorische Maßnahmen und den Einsatz von persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz, deutlich reduzieren.
Notfallkonzept
Trotz hohen Sicherheitsstandards, dem Einhalten von Prüfintervallen von Sicherheitsausrüstung und dem Befolgen von Betriebsanweisungen lassen sich Unfälle mit teils schweren Verletzungen nicht vermeiden. Ein Notfallkonzept ist daher ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Arbeitssicherheit in der Windkraft. Es dient dazu, im Falle eines Unfalls oder einer anderen Notfallsituation schnell und effektiv reagieren zu können.
Im Oktober 2023 hat das Land Schleswig-Holstein, in einer gemeinsamen Kampagne mit dem Land Niedersachsen, damit begonnen Betreibende von WEA unter der Überschrift: “Sicherstellung einer unverzüglichen Rettung und medizinischen Versorgung von Beschäftigten.“ anzuschreiben. Dass die Forderungen aus diesem Schreiben, alle Beteiligten vor große Herausforderungen stellt, steht außer Frage, doch sie haben ihre Berechtigung und so ist davon auszugehen, dass diese von weiteren Bundesländern übernommen werden (5).
Hauptaugenmerk der Forderung liegt dabei auf der Kooperation aller Beteiligten und auch der Begriff „unverzüglich“ wird in dem Anschreiben klar definiert. Das Land fordert eine medizinische Versorgung einer verletzten Person, spätestens 30 Minuten nachdem der Notruf abgesetzt wurde. Dabei ist es unerheblich, ob die verletzte Person die WEA selbständig bzw. unter Mithilfe eines Kollegen verlassen und dem medizinischen Personal übergeben wird oder diese die verletzte Person am Unfallort erreichen kann, um mit der Erstversorgung zu beginnen. Angesicht der bereits angesprochenen Abgelegenheit von WEA, den teils schwer zugänglichen Komponenten und je nach Schwere der Verletzung, wirkt diese Forderung erschlagend doch je besser ein Notfallkonzeptvorbereitet wird, umso mehr Zeitersparnis und Erleichterung bringt es für die Rettungskräfte im Notfall. Des Weiteren stellt das Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung einen Fragenkatalog zur Verfügung, anhand dem geprüft werden kann, ob die bereits getroffenen Maßnahmen, eine unverzügliche Rettung sicherstellen (6).
Der Fragenkatalog gliedert sich in die folgenden vier Punkte:
1. Auffindbarkeit, Zuwegung & Zugang
2. Organisation
3. Ausstattung
4. Rettungskonzept
Eine initiale Begehung des Windparks kann bereits zum Ende der Errichtungsphase der WEA durchgeführt werden und bildet den ersten Schritt, um die örtlichen Rettungskräfte in die Gegebenheiten des Windparks eizuweisen. Oft werden solche Begehungen auch in der Genehmigung gefordert. Die Bereitstellung von Dokumentation in Form von Feuerwehrplänen, -mappen sowie die Registrierung im WEA-NIS bzw. der neu eingerichteten Decentralised Energies Emergency Platform (DEEP) helfen den örtlichen Rettungskräften im Notfall dabei, die Anlage schneller anfahren zu können und unterstützen bei der Orientierung und Organisierung der Rettung vor Ort.
Wartungsunternehmen verschließen die Turmtüren zu der Anlage, während sie darin tätig sind, um ein Zuschalten im Zuge der Arbeiten zu verhindern. Wenn die Feuerwehr nicht das geeignete Werkzeug mit sich führt, um die Tür zu öffnen, können wertvolle Minuten, wenn nicht sogar Stunden für die Rettung der verunfallten Person vergehen. Das Hinterlegen von Schlüsseln für die Anlage vor Ort, z.B. in einem Schlüsseltresor oder einem ggf. durch den Betreibenden oder technischen Betriebs-führende beauftragten Mühlenwart, vereinfachen und beschleunigen den Zutritt durch die Rettungskräfte.
Essenziell ist die Verfügbarkeit von geprüften Aufstiegshilfen sofern keine Befahranlage (BFA) vorhanden ist, damit die rettende Person die WEA ggf. besteigen können, es sei angemerkt, dass sie dies unter dem Argument des Eigenschutzes auch verneinen können. Ist ein Aufzug vorhanden, muss eine Kurzanleitung in Landessprache vorhanden sein, um schnell Klarheit über die Nutzung ebendieser zu schaffen. Auch hier ist eine regelmäßige Sicherheitsüberprüfung durch eine zugelassene Überwachungsstelle unerlässlich (7). Ein noch nicht endgültig geklärtes Problem besteht darin, dass sich die BFA ggf. im Gondelbereich der Anlage befindet und nicht etwa, wie ein Fahrstuhl in einem Wohn- bzw. Bürogebäude von unten „rufen“ lässt.
Sind die Einsatzkräfte zu der verunfallten Person gelangt und haben diese medizinisch versorgt, so dass ein Transport möglich ist, kann ein Notabseilgerät, welches im Maschinenhaus hinterlegt ist Leben retten, denn nicht immer ist eine Landung für einen Hubschrauber auf dem Gondeldach durchführbar. Muss ein Rettungs-gerät durch die Höhenrettung mitgeführt werden, so kostet dies durch den langsamen Transport mittels der BFA wertvolle Zeit und ist wegen der erforderlichen Seillänge und dem dadurch entstehenden Gewicht umständlich und unpraktikabel. Unter Berücksichtigung, dass WEA der neusten Generation, Nabenhöhen von über 160 m erreichen, ist zu beachten, dass die Seillänge vom Maschinenhaus bis zum Boden ausreichend bemessen sein muss. Denn bei Wind wird das Seil vom Turm weggedrückt und hängt nicht etwa senkrecht nach unten. Ein Sicherheitszuschlag von ca. 20 % auf die Seillänge im Vergleich zur direkten Strecke sollte mit eingeplant werden (8).
Übungen mit potenziellen rettenden Personen sind wichtig und zielführend, um zum einen die Höhenrettung der Feuerwehr, dem Technischen Hilfswerk oder aber der Bundeswehr mit den WEA vertraut zu machen und zum anderen auch von ihnen zu lernen. Wer eine Übung begleitet hat, wird schnell feststellen, wie eng Maschinenhäuser sind, wie schwierig die Bergung aus einer Nabe oder den Rotorblättern ist und wie deutlich die Hemmschwelle sein kann, sich durch die Luke einer 110 m hohen WEA abzuseilen (9).
Fazit
Die Arbeitssicherheit beim Betrieb von WEA ist aufgrund der Abgeschiedenheit der Anlagen, der Höhe und den teils beengten Verhältnissen, ein komplexes und vielschichtiges Thema, das eine umfassende Herangehensweise erfordert. Durch die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften, die Durchführung von objektorientierte Gefährdungsbeurteilungen und die Erarbeitung von sich daraus ergebenen Betriebsanweisungen und Notfallkonzepten, sogen jedoch dafür die Sicherheit erheblich zu verbessern. Die regelmäßige Schulung aller Beteiligten, die Bereitstellung von geeigneter Sicherheitstechnik, in Form von persönlicher Schutzausrüstung und Rettungsgeräten, sind ein weiterer Baustein hierfür. Des Weiteren ist die Zusammenarbeit aller Beteiligten und die kontinuierliche Verbesserung der erarbeiteten Sicherheitsstandards, sowohl für die präventiven Maßnahmen als auch die Planung einer effektiven Rettung im Notfall von entscheidender Bedeutung.
Autor: Stefan Eggert
QUELLEN:
(1) IRENA Bericht zeigt Wachstumstreiber: Weltweiter Rekordzubau an Erneuerbaren Energien 2024 – 585.000 MW neue Kraftwerksleistung (2025). Verfügbar unter: https://www.offshore-windindustrie.de/news/ticker/irena-bericht-zeigt-wachstumstreiber-weltweiter-rekordzubau-an-erneuerbaren-energien-2024-585-000-mw-neue-kraftwerksleistung-artikel7370 (abgerufen am 13.06.2025).
(2) Betreiberpflichten wahrnehmen und delegieren (2024). Verfügbar unter: https://www.tuev-nord.de/de/unternehmen/bildung/wissen-kompakt/betreiberpflichten-wahrnehmen-und-delegieren-so-vermeiden-unternehmen-rechtsfolgen/ (abgerufen am 13.06.2025).
(3) §5 ArbSchG, Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(4) DGUV Information203-007 Windenergieanlagen
(5) Aktion zur Windenergie – unverzügliche Rettung. Verfügbar unter: https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/ministerien behoerden/STAUK/Kampagnen/WEA_Rettung/wea_rettung (abgerufen am 13.06.2025).
(6) Arbeitsschutz auf Onshore-Windenergieanlagen: Sicherstellung einer unverzüglichen Rettung und medizinischen Versorgung von Beschäftigten Fragenkatalog: Sicherstellung der unverzüglichen Rettung auf Windenergieanlagen an Land. Verfügbar unter: https://www.schleswig-holstein.de/DE/fachinhalte/A/arbeitsschutz/on_offshore_windparks (abgerufen am 13.06.2025)
(7) Prüfung von Befahranlagen (2017). Verfügbar unter: https://www.windmanager.de/pruefung-von-befahranlagen/#:~:text=Haupt%2D%20und%20Zwischenpr%C3%BCfung%20durch%20Z%C3%9CS,und%20Intensit%C3%A4t%20der%20Nutzung%20durchzuf%C3%BChren (abgerufen am 16.06.2025).
(8) Sicherstellen unverzüglicher Rettung (2025). Verfügbar unter: https://www.windindustrie-in-deutschland.de/fachartikel/sicherstellen-unverzueglicher-rettung#:~:text=Das%20Land%20Schleswig%2DHolstein%20hat,und%20medizinischen%20Versorgung%20von%20Besch%C3%A4ftigten (abgerufen am 16.06.2025).
(9) Für den Ernstfall geprobt: Höhenrettungsübung am Windrad (2023). Verfügbar unter: https://www.stadtwerke-gt.de/unternehmen/newsroom/nachrichten/hoehenrettung-windrad.php#:~:text=In%20dem%20engen%20Turm%20k%C3%B6nnen,und%20sicher%20gehandelt%20werden%20kann (abgerufen am 16.06.2025).